Culture of Care
Niemand darf Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen (§1 TierSchG). Keine andere Mensch‐Tier‐Beziehung scheint augenscheinlich so im Konflikt mit unseren moralischen Überzeugungen auf die Schutzwürdigkeit von Tieren zu stehen wie die tierexperimentelle Forschung. Mit Änderung der Revision der Direktive zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (2010/63/EU), sollen Tierschutzerwägungen in Haltung, Pflege, Zucht und Verwendung im Sinne einer gelebten Culture of Care (CoC) oberste Priorität haben.
Der Begriff Culture of Care entstammt aus dem angelsächsischen Raum aus dem Bereich der Pflege und Medizin. Eine CoC steht für die Gesamtheit der gemeinsam entwickelten Werte und Muster einer Organisation und spiegelt die Qualität der gelebten Pflege. Dabei stehen Sicherung des Wohles der zu pflegenden Person und gleichermaßen das Wohl der pflegenden Person (Mitarbeiterwohl) an oberster Stelle.
Im deutschen Sprachgebrauch wird die Culture of Care häufig als gute Pflegekultur umgesetzt. Respektiert man aber die Ansprüche an eine gelebten CoC, sollte dieser Begriff weitfassender als Kultur der Fürsorge und Verantwortung verwendet werden. Die Durchführung von Tierversuchen selbst oder die öffentliche Stigmatisierung der eigenen Arbeit als grausam und schmutzig, können zu individuellen psychischen Belastungen und ethischen Konfliktsituationen bei allen Berufsgruppen der tierexperimentellen Forschung führen (siehe auch: Versuchstierkunde Kompakt).
Sagen wir grundsätzlich, Ja‘ zur tierexperimentellen Forschung, dann müssen wir uns als Wissenschaftsgemeinschaft selbst dazu verpflichten, Tierwohl (Tierschutz), Forschungsqualität, Mitarbeiterwohl und Transparenz mit höchster Priorität im Sinne einer gelebten CoC zu fördern. Eine gelebte Kultur der Fürsorge und Verantwortung verbindet deshalb diese Elemente und adressiert neben den klassischen 3R‐Prinzipien (Replacement/Reduction/Refinement), die Reproduzierbarkeit (Reproducibilty) und die beiden Kernelemente Responsibility (Verantwortung) und Respect (Respekt). Mit einem so definierten Ethikkodex werden wir die eigenen sowie gesetzlichen und gesellschaftlichen Anforderungen an das Tierwohl verantwortungsvoll umsetzen und gleichzeitig der Verantwortung gegenüber Mitarbeiterwohl gerecht.
Wollen wir maximales Tierwohl erreichen und sichern, dann brauchen wir Menschen die besonders fürsorglich, mitfühlend und empathisch sind. Doch genau diese haben ein höheres Risiko langfristig unter den physischen und psychischen Arbeitsbelastungen zu leiden. Ohne geeignete Interventionsstrategie kann diese Leiden zum Phänomen der Compassion Fatigue führen. Compassion Fatigue (Mitleidsmüdigkeit), ist als ein Zustand der physischen und mentalen (-psychische) Erschöpfung beschrieben und führt nicht nur zur Reduktion der eigenen Lebensqualität, sondern auch zur Minderung der Arbeitsleitung bis hin zur Arbeitsunfähigkeit (Ref.1-6).
Auch in Deutschland müssen wir deshalb arbeitsbedingte, psychische Belastung und Auswirkungen auf das mentale (menschliche) Wohlbefinden präsenter innerhalb der tierexperimentellen Wissenschaftsgemeinschaft thematisieren und innerhalb der einzelnen Organisationen adressieren. Denn nur das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter:innen, Kollegen:innen und unser eigenes Wellbeing sichert maximales Tierwohl. Für mich ist es deshalb eine persönliche Herzensangelegenheit die Themen mentale Belastungen, Compassion Faitgue und menschliches Wohlbefinden als Element einer CoC in der tierexperimentellen Forschung und bei Ihnen nicht nur zu thematisieren, sondern professionell und aktiv zu begleiten. Dafür habe ich mich zusätzlich im Bereich gesundes Arbeitsumfeld weitergebildet (siehe Abschnitt Referenzen).
Literatur:
1. Cocker und Joss, 2016, PMID 27338436
2. Ferrara 2020, Versuchstierkunde Kompakt
3. LaFollete et al. 2020, PMID 32195275
4. Murray et al., 2020, PMID 33330693
5. Randall et al., 2021, PMID 33028460
6. Ferrara et al., 2022, PMID 35758270